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Pressemitteilung: "Die Letzte Generation, die sozial-ökologische Krise und der Rechtsstaat"

Psychologists for Future warnen vor Gefahren für die Demokratie durch zunehmende Radikalisierung des politischen Diskurses

Neueste Pressemitteilung vom 13.06.2023 – hier auch als pdf.

Die kürzlichen Wohnungsdurchsuchungen und die Beschlagnahmung der Website der Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ durch das Bayerische Landeskriminalamt am 24. Mai 2023 stellen eine besorgniserregende Eskalation der staatlichen Antwort auf klimaengagierte Menschen dar.

Die Darstellung der Generalstaatsanwaltschaft München, die „Letzte Generation“ sei bereits eine „Kriminelle Vereinigung“, missachtet das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung ebenso wie die Gewaltenteilung als Prinzip rechtsstaatlicher demokratischer Kontrolle.

Die Aktionen dienen offenbar zur Einschüchterung von Aktivist*innen und Bürger*innen, die sich für eine lebenswerte Zukunft auch für künftige Generationen engagieren. Gleichzeitig lenken sie die öffentliche Aufmerksamkeit von der ganz offensichtlich unzureichenden Klimapolitik ab. Dabei wird eine Gruppe kriminalisiert, die sich einsetzt für eine Politik, die eine lebenswerte Zukunft für heutige und zukünftige Generationen in den Mittelpunkt stellt.

Das ist auch direkte Folge der radikalisierten, polemischen bis populistisch vereinfachenden Sprache von Politiker*innen, wie z.B. bei der Verwendung von Begriffen wie „Klima-RAF“, „Klimakleber“, „Kriminelle Vereinigung“ und der abfälligen Bezeichnung von Aktionen der Klimaschutzaktivist*innen als „bekloppt“ durch den Bundeskanzler.

Die „Letzte Generation“ greift aus dem Bewusstsein der Dringlichkeit, effektive Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise einzuleiten, auf gewaltfreien zivilen Ungehorsam zurück. Anstatt konsequent, zielführend und gemeinsam Maßnahmen einzuleiten, um die weiteren Auswirkungen der Klimakrise zu verlangsamen, werden die Warnenden an den Pranger gestellt und ein Verzögerungsdiskurs sowie eine Polarisierung der Bevölkerung befeuert. Als Psycholog*innen betrachten wir diese Entwicklung mit großer Sorge.

Besorgniserregend ist auch die Entscheidung des Bundeskanzlers, den Bundesverkehrsminister von der Verpflichtung zu entbinden, ein Sofortprogramm zur Einhaltung der Klimaziele vorzulegen, obwohl dies im Klimaschutzgesetz in seiner derzeit gültigen Fassung gesetzlich vorgeschrieben ist. Dieses Vorgehen wird von Rechtsexpert*innen wegen der fehlenden rechtlichen Grundlagen als problematisch eingeschätzt und untergräbt bei Bürger*innen das Vertrauen in Zuverlässigkeit und Gültigkeit von Gesetzen.

Die Kombination aus Radikalisierung der Sprache, der Abwertung und Kriminalisierung von Klimaaktivist*innen und den beobachteten Rechtsverstößen durch Politik und Generalstaatsanwaltschaft birgt das Risiko, dass junge Menschen, die bereits jetzt ihre Zukunft in Gefahr sehen, das Vertrauen in die Demokratie weiter verlieren.

Waldbrände, Dürren, auch hierzulande, rapide schmelzendes Eis in der Arktis: Es ist höchste Zeit, umgehend und wirksam zu handeln, um die Auswirkungen der Klimakrise zu verlangsamen und einzudämmen.

Wir fordern daher Politiker*innen aller demokratischen Parteien auf, ihrer Verantwortung für die Zukunft unserer Gesellschaft gerecht zu werden, indem sie

  • die beschriebene populistische, diffamierende und spaltende Kommunikation beenden
  • die wissenschaftlichen Befunde zur Klima- und Biodiversitätskrise in ihrer Dramatik anerkennen und zur wichtigsten Grundlage ihrer Entscheidungen und Handlungen machen
  • Bürger*innen diese unbequemen Wahrheiten vermitteln
  • dabei auch die Folgen weiterer Krisenentwicklung für Individuum und Gesellschaft aufzeigen
  • lokal, regional, landes- und bundesweit Gesprächs- und Austauschformate einführen, die die Teilhabe aller an der Entwicklung von Strategien und Lösungen ermöglichen
  • der wirklich sozial gerechten Ausgestaltung von Maßnahmen oberste Priorität geben
  • wirksame Mechanismen einsetzen, damit klimaschädigendes Verhalten nicht mehr freigekauft werden kann und klimaschützendes Verhalten keine Frage von individuellem Reichtum ist

Nur wenn wir als Gesellschaft uns jetzt endlich auf diesen Weg machen, werden Gesundheit und Demokratie kurz- und langfristig erhaltbar sein. Dabei müssen Entscheidungsträger*innen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ebenso wie die Medien voran gehen. Wir appellieren daher an alle, ihre Verantwortung für die universellen Menschenrechte wahrzunehmen und sich für das grundgesetzlich verbriefte Recht künftiger Generationen auf gute Lebensbedingungen mindestens so entschlossen handelnd einzubringen, wie es die Menschen der Letzten Generation tun.

Psychologists / Psychotherapists for Future e.V., 13.06.2023